Dienstag, 24. März 2009

4. Berliner Rede von Horst Köhler

Die beste Rede, die ich bisher in 2009 gehört habe, ist eindeutig Köhlers 4. Berliner Rede (hier als Videobeitrag bei Phoenix).

Das mag vielleicht verwunderlich klingen. Besonders diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich eigentlich kein großer Fan von Köhler-Reden bin, aber heute hat der Bundespräsident einfach alles richtig gemacht und deshalb voll gepunktet - und zwar parteiübergreifend.

Was Obama an Charisma-Überschuss hat, fehlt Köhler, heißt es ja immer. Köhler-Reden sind sachlich-nüchtern - man könnte auch sagen: steif und trocken, da ohne jede Zugabe von Emotionalität. Und jeder bisher gestartete Versuch, ein wenig wohldosierte Euphorie anzubringen, wirkte irgendwie deplatziert, wie ein Hawaiihemd am Körper eines grauen Verwaltungsbeamten.

Heute aber wurde Köhlers vermeintliche Schwäche seine große Stärke. Der rational-zurückhaltende Zurück-auf-den-Teppich-Ton klingt in Zeiten der Finanzkrise ungemein einleuchtend, entwickelt Appeal. Er erfüllt das rhetorische Kriterium der Angemessenheit gleich dreifach: Er ist angemessen im Bezug auf die Sache (eine Wirtschaftskrise mit all ihren negativen Folgen für die Bürger verlangt sachliche Demut statt Euphorie und Hybris), angemessen im Bezug auf die aktuelle Redesituation (noch verstärkt durch die Wahl der zerbombten Berliner St.-Elisabeth-Kirche als Location) und angemessen im Bezug auf den Charakter des Redners selbst (Köhler wirkt authentisch und natürlich in der Rolle des ernsthaften Argumentierers). Dazu kommt Köhlers tatsächlich unübersehbar vorhandenes Expertenwissen in puncto globale Wirtschaft.

Die Welt in Zeiten der Finanzkrise braucht in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland keine euphorischen Charismatiker mehr, sondern anpackende Leute mit gesundem Menschenverstand, einem klaren Kompass fürs Wünschenswerte und Machbare, viel Erfahrung und anständiger Gesinnung, die die Scherben auflesen und das ganze Gebilde soziale Marktwirtschaft wieder solide in neuer, besserer Form zusammenkitten können. Vertrauenswürdige Leute. Glaubwürdige Leute.

Bereits Aristoteles wusste, dass einem Redner im Grunde genommen drei unterschiedliche Überzeugungsmittel zur Verfügung stehen: die rationale Sachargumentation (logos), sein Charakter/Image (ethos) sowie das Erzeugen von Emotionen und Affekten im Publikum (pathos). Charakterlich überzeugt ein Redner, wenn er für sein Publikum glaubwürdig ist. Und glaubwürdig ist er für sein Publikum dann, wenn er "Einsicht, Tugend und Wohlwollen" als Charaktereigenschaften zum Vorschein bringen kann: Einsicht in die Dinge, über die geredet wird (d.h. ein Redner muss Sachkompetenz ausstrahlen), Tugend (d.h. ein Redner muss moralische Rechtschaffenheit ausstrahlen) und Wohlwollen gegenüber dem Publikum.

Und als genau so einer hat sich der Bundespräsident heute präsentiert. Kompetent in der Sache, moralisch rechtschaffen und wohlwollend gegenüber den Bürgern. Einer für alle Bevölkerungsschichten. Einer für alle Parteien. Einer für ganz Deutschland. Der Mann, der für sein anständig-bodenständiges Image bisher oft belächelt wurde, trat heute - genau wegen dieser seiner Bodenständigkeit, seinem betont gesunden Menschenverstand, seiner Wertkonservativität - als jemand hervor, dessen Vorstellungen und Vorschläge vielleicht das größte Veränderungspotential unter allen Vorschlägen zur Meisterung der Finanzkrise ausstrahlten.

Man kann für oder gegen Horst Köhlers politische Positionen sein. Ein rhetorisches Highlight war die 4. Berliner Rede in jedem Fall.