Freitag, 21. März 2008

In eigener Sache

"Alles bloß Rhetorik" ist nun schon fast 3 Monate alt. Das Baby ist nun sozusagen am Übergang von der Schreiphase in die Lallphase, habe ich mir sagen lassen. :-)

Herzlichen Dank erstmal für die Rückmeldungen, Fragen und Verbesserungsvorschläge die ich bisher bekommen habe! Was als "rhetorisches Potpourri" und Tipp-Sammlung angefangen hat, soll nun doch ein wenig mehr Struktur und Kontur bekommen als bisher. Geplant sind folgende Rubriken, die hoffentlich euren Wünschen und Anregungen entsprechen:

  • About Rhetoric: Beiträge zu Geschichte sowie zu wissenswerten oder einfach nur unterhaltsamen Aspekten der Disziplin Rhetorik.
  • Basics: Grundlegendes zu Theorie und Praxis der Rhetorik.
  • Strategic Thinking: Rhetorik ist die Kunst der strategischen Kommunikation. Die Fähigkeit zu strategischem Denken ist insofern die unverzichtbare Voraussetzung jeder Rhetorik. Unter der Rubrik "Strategic Thinking" sollen deshalb Beiträge zum Thema Strategie, strategisches Denken und Handeln erscheinen.
  • Invent: Diese Rubrik befasst sich mit dem "ersten Produktionsstadium" im klassisch rhetorischen System, mit der Findung kommunikativer Inhalte: Was will ich da überhaupt kommunizieren? Welche Argumente gibt es für mich? Allgemein: Welche sprachlichen Mittel wähle ich aus, um mein kommunikatives Ziel zu erreichen?
  • Formulate: Diese Rubrik fasst die Produktionsstadien 2 und 3 im klassisch rhetorischen System zusammen: Wie ordne ich die gefundenen Inhalte an? Wie verpacke ich passend in Worte, was ich rüberbringen will? Und was hat es eigentlich mit den berühmten "rhetorischen Stilmitteln" auf sich?
  • Communicate: Hier geht es um das 5. Produktionsstadium: Wie läuft der tatsächliche Kommunikationsprozess ab? Wie trage ich erfolgreich und überzeugend vor? Welche Rolle spielen Gestik und Mimik? ...
  • NEToric: Rhetorik im Internet, wie funktioniert das? Genauso wie sonst und zugleich auch völlig anders. Eine Rubrik, auf die ich mich besonders freue!!
  • Business Rhetoric: Rhetorik für Business und Karriere
  • Today: Aktuelles aus Politik, Presse...
  • By the way... Alles, was sonst noch so anfällt.

Donnerstag, 20. März 2008

Blog-Tipp

Heute mal ein bisschen Werbung... Ein intelligentes Blog, in das ich immer wieder gerne reinlese, ist "The Rhetorica Network" von Andrew R. Cline. Wer sich für öffentliche Rhetorik in den USA interessiert, speziell für politische Rhetorik und journalistische Rhetorik, dürfte dieses Blog spannend finden. "Rhetorica" ist sehr USA-zentriert, eine gewisse Vertrautheit mit Persönlichkeiten der US-amerikanischen Politik- und Journalismusszene wird vorausgesetzt. Das Blog ist in englischer Sprache. 

Dienstag, 18. März 2008

Stil ist eben nicht nur Stil
(Konversationsmaximen II)

Mit den Konversationsmaximen von H.P. Grice im Hinterkopf und dem Wissen darum, dass offensichtliche Regelverletzungen automatisch bestimmte Schlussfolgerungen beim Adressaten hervorrufen, wird es Ihnen in Zukunft leichter fallen, die Wirkung Ihrer Worte einzuschätzen.

Bemerkenswert ist, dass es für die Grice'schen Maximen allesamt klassisch-rhetorische Entsprechungskategorien gibt, die teilweise bis in die antike Rhetoriktheorie bei Aristoteles, Cicero und Quintilian zurückverfolgt werden können. Ob sich Grice mit klassischer Rhetorik beschäftigt hat, weiß ich nicht. Dass diese Entsprechungen existieren, zeigt jedoch, dass die klassisch-rhetorischen Forderungen nach Angemessenheit, Klarheit, Kürze etc., die oftmals auf praktischen Beobachtungen der antiken Autoren basieren, nicht nur von stilistischem Interesse sind.

Die Konversationsmaximen liefern den Grund dafür, warum Verstöße wie zum Beispiel "Langatmigkeit" nicht nur "stilistisch unschön" sind und dafür sorgen können, dass das Publikum abschaltet oder einschläft, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene zu äußerst unerwünschten Schlussfolgerungen beim Adressaten führen können. Letztendlich schmälern solche Verstöße Ihre kommunikativen Erfolgschancen enorm.

Zugespitzt gesagt: Stil ist eben nicht nur Stil. Stil ist zugleich immer auch Inhalt.

(Es gibt eine Reihe von Textsorten/Gattungen, bei denen die Grice'schen Maximen nicht oder nur eingeschränkt gelten. Denken Sie z.B. an den Roman: Natürlich muss sich der Autor hier nicht an die Maxime der Qualität halten. Denken Sie an ein Gedicht: Natürlich muss sich der Dichter nicht darum bemühen, die Maxime der Quantität einzuhalten oder "nicht mehrdeutig" zu sein etc.)

Soviel zur Pflicht. Aber es gibt auch die Kür-Seite der Konversationsmaximen. Denn mit dem Wissen um die Möglichkeit gezielter Regelverstöße und dem Wissen um konversationelle Implikaturen können eine Menge an stilistischen-und-nicht-nur-stilistischen Effekten erzielt werden! Viele rhetorische Stilfiguren beruhen auch (aber häufig nicht nur) auf der gezielten Ausschaltung einer oder mehrerer der Grice'schen Maximen und erzielen gerade so ihre Wirkung.

Hier sind ein paar Beispiele:

Maxime der Qualität wird gebrochen:

  • "Ich liebe diese Blödmänner! Was würde ich nur ohne sie tun?" - Ironie.
  • "Er ist der klügste Mensch auf der ganzen Welt." - Übertreibung/Hyperbel.
  • "Dieser Mann ist ein Bollwerk." - Metapher.

Maxime der Quantität wird gebrochen:

  • "Meinst du wirklich er macht das? Meinst du wirklich und ernsthaft er macht das?" - Beispiel für eine Wiederholungsfigur, mit kleiner steigernder Variation in der Wiederholung. Wirkt besonders nachdrücklich, drückt starke Zweifel des Sprechers aus und ist darüber hinaus dazu geeignet, Zweifel auch beim Hörer zu wecken.

Maxime der Relevanz wird gebrochen:

  • "Ich möchte nicht erwähnen, dass diese Idee nicht von mir kam." - Übergehung/Praeteritio.
  • "Hat XY eigentlich eine neue Freundin?" - "Dazu sage ich nichts. In letzter Zeit geht er alle 14 Tage zum Friseur und neulich habe ich ihn in der Abteilung für Herrendüfte getroffen."

Maxime der Modalität wird gebrochen:

  • "Stil ist eben nicht nur Stil" - Widerspruch in sich/Paradox.
  • "Sei bloß vorsichtig!" - "Na, du kennst mich doch." - "Eben." - ebenso diverse andere Formen des Wortspiels, die auf Mehrdeutigkeit beruhen.
  • "Ihr wollt tatsächlich-? Das kann doch wohl nicht euer Ernst sein!" - Auslassung/Ellipse; der Sprecher scheint das nicht Ausgesprochene für eine Verrücktheit, Ungeheuerlichkeit oder einen Witz zu halten.
  • "Ihr Mann ist tot und lässt Sie grüßen" (Goethe, Faust I) - Vertauschung der zeitlichen Reihenfolge/Hysteron proteron.




Äußerungen, deren Bedeutung zum Teil durch Schlussfolgerungen zustande kommt, die der Adressat selbst leisten muss, haben für viele Menschen einen besonderen Reiz; solche Äußerungen gelten oftmals als besonders geistreich oder gewitzt. In der Praxis liegt die Schwierigkeit darin, solche Effekte weder zu platt und zu offensichtlich einzusetzen, noch Aussagen zu konstruieren, bei denen der Gesprächspartner zuerst einen Logiktrainer konsultieren muss, bevor er sie versteht. In diesem Fall gilt: Probieren geht über studieren. Der Experimentierfreudigkeit sind keine Grenzen gesetzt.





Bildnachweise

"Gespräch": S. Hofschlaeger; Pixelio.
"Idee": S. Hofschlaeger; Pixelio.

Zu viel ist zu viel ist zu viel

"Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, ich freue mich sehr, Sie heute alle zu diesem Meeting begrüßen zu dürfen. Wir sitzen heute hier gemeinsam um diesen Tisch, um eine Reihe von Angelegenheiten zu besprechen, teilweise überaus wichtige und dringliche, und ich hoffe, wir werden in den allermeisten Punkten zu Ergebnissen und Lösungen gelangen, die alle Seiten zufrieden stellen. Ich bin sehr froh, dass Sie alle erschienen sind, damit wir diese Dinge gemeinsam diskutieren können. Und obwohl das Wetter draußen eher zu einem Spaziergang als zu einer Konferenz einlädt, möchte ich besonders..."





Na? Gähnen Sie schon? Oder denken Sie sich: So ein Schwätzer, der hat doch bestimmt inhaltlich nichts zu sagen?


"Weniger ist oft mehr", liest man dann in zahlreichen Ratgebern. Aber woran liegt das eigentlich, dass Leute, die dazu neigen, ausschweifend zu erzählen oder zu antworten, sehr schnell in den Verdacht geraten, eigentlich nichts zu sagen zu haben?


Herbert Paul Grice (1913-1988), englischer Sprachphilosoph, hat dazu folgende Theorie entwickelt, die ihm zu einiger Berühmtheit verholfen hat:


In Alltagsgesprächen, sagt Grice, geht jeder Gesprächsteilnehmer zunächst automatisch davon aus, dass seine Gesprächspartner im Normalfall bestimmte Kommunikationsregeln befolgen.



Ganz oben steht dabei das Kooperationsprinzip. Es besagt, dass jeder Teilnehmer seinen Gesprächsbeitrag so gestalten soll, wie das aktuelle Stadium des Gesprächs, der gemeinsame Zweck oder die Richtung des Gesprächs es verlangen.


Unter dieser allgemeinen Regel stehen vier weitere Regeln, die Grice "Konversationsmaximen" nennt:


1. Die Maxime der Quantität.

Hierunter fallen die Vorschriften:
- Mache deinen Beitrag so informativ wie (für den aktuellen Zweck des Gesprächs) nötig.
- Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.


2. Die Maxime der Qualität

Hierunter fallen die Vorschriften:
- Sage nichts, was du für falsch hälst.
- Sage nichts, wofür du keine angemessenen Anhaltspunkte hast.


3. Die Maxime der Relevanz

Diese besagt einfach: Sei relevant.


4. Die Maxime der Modalität (Art und Weise)

Hierunter fallen die Vorschriften:
- Vermeide eine unklare Ausdrucksweise.
- Vermeide Mehrdeutigkeiten.
- Fasse dich kurz (= vermeide unnötige Weitschweifigkeit).
- Gestalte deinen Beitrag geordnet.


Alle Gesprächsteilnehmer gehen also wie gesagt normalerweise zunächst davon aus, dass die aufgezählten Regeln eingehalten werden. Wenn Sie auf der Straße von einem Unbekannten angesprochen und gefragt werden: "Ich suche den Bahnhof, können Sie mir den Weg beschreiben?" gehen Sie im Normalfall zunächst nicht davon aus, dass der Mann lügt oder dass er eigentlich etwas ganz anderes sucht oder dass er einfach irgendetwas sagt, ohne es zu meinen. Sie gehen davon aus, dass der Unbekannte sich an die Regeln hält. Und wenn Sie ihm daraufhin antworten: "Gehen Sie einfach noch ein Stück geradeaus und biegen Sie an der nächsten Kreuzung links ab", wird der Mann im Normalfall davon ausgehen, dass Sie ihm in ihrer Antwort nach bestem Wissen und Gewissen den Weg zum Bahnhof beschreiben und nicht den Weg zum Sanatorium oder dass Sie einen Teil der Wegbeschreibung einfach weglassen oder die Anordnung der Anweisungen verändern.

Wenn sich ein Gesprächteilnehmer grundlos und ohne dass sein Gesprächspartner dies bemerkt nicht an die Regeln hält, also etwa in unserem Beispiel einfach stillschweigend den Weg zum Sanatorium beschreibt, führt er damit seinen Gesprächspartner in die Irre; es kommt zu Missverständnissen, Unaufrichtigkeiten, ...


Nun gibt es aber noch eine Reihe anderer Fälle, in denen Regeln nicht eingehalten werden, beispielsweise kann es sein, dass zwei Regeln in Konflikt geraten, und der Sprecher entscheiden muss, welche Regel nun wichtiger ist. Dies geschieht bei den meisten Menschen meist ganz intuitiv.


Interessant wird es, wenn ein Sprecher eine Regel absichtlich verletzt, und zwar so, dass der Gesprächspartner dies auch merkt. Dann nämlich fordert er den Gesprächspartner geradezu auf, eine Reihe von Schlussfolgerungen darüber anzustellen, warum diese Regelverletzung stattgefunden hat. Eine Menge an Höflichkeitsmechanismen funktioniert auf diese Weise. Wenn Sie beispielsweise gefragt werden, ob Sie noch auf ein Bier mitkommen, und daraufhin antworten "Aach, ich bin heute so müde", dann ist das eigentlich eine völlig irrelevante Antwort, da Sie nicht gefragt wurden, ob Sie müde sind, sondern ob Sie auf ein Bier mitkommen. Ihr Gesprächspartner wird aus dieser offensichtlichen Regelverletzung jedoch blitzschnell folgern, dass Ihre Antwort als höfliches "Nein" zu verstehen ist. (Grice nennt diese Schlussfolgerungen "konversationelle Implikaturen" einer Äußerung.)




Relativ häufig tritt auch der Fall auf, dass Gesprächspartner A eine Information erfragt, die Gesprächspartner B jedoch nicht in der gewünschte Konkretheit geben kann. Besteht nun bei Gesprächspartner B die Gefahr, dass er sein Gesicht verliert, wenn er wahrheitsgemäß "ich weiß nicht" antwortet (oder zusätzlich seinen Job, wenn er beipielsweise beim Helpdesk arbeitet), wird er versuchen, möglichst unkonkrete, phrasenhafte Sätze zu äußern, um zwar formal "geantwortet" zu haben, zugleich aber bei Gesprächspartner A die Schlussfolgerung zuzulassen, dass er die Antwort eigentlich nicht kennt.


Menschen, die gelernt haben, diese Mechanismen zu erkennen und quasi automtisch die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen, werden auch im allerersten Beispiel der "Konferenzeröffnungsrede" automatisch ähnlich schlussfolgern: Der Redner hält sich nicht an das Kriterium der Relevanz, er wiederholt sich ständig und wird weitschweifig => Er versucht aus einem äußeren Zwang heraus, die Eröffnungsrede irgendwie "rumzukriegen", signalisiert aber, dass es inhaltlich nichts zu sagen gibt.


Besonders hart trifft diese Schlussfolgerung Menschen, die "von Natur aus" zu Weitschweifigkeit und Wiederholungen neigen, damit jedoch keinesfalls nur mit möglichst wenig Gesichtsverlust "die Zeit rumkriegen" wollen, sondern sehr wohl "etwas zu sagen haben". Für sie gilt weiterhin der alte Spruch: Weniger ist oft mehr.



Literatur

H.P. Grice: Studies in the Way of Words. Harvard University Press. 1991.


Bildnachweise

"Konferenztisch": S. Hofschlaeger; Pixelio.
"Talking head": Wikimedia Commons, published under the GNU Free Documentation Licence.
"Sprechblase": Wikimedia Commons, abgeändert, PD-self Public Domain.