Dienstag, 18. März 2008

Stil ist eben nicht nur Stil
(Konversationsmaximen II)

Mit den Konversationsmaximen von H.P. Grice im Hinterkopf und dem Wissen darum, dass offensichtliche Regelverletzungen automatisch bestimmte Schlussfolgerungen beim Adressaten hervorrufen, wird es Ihnen in Zukunft leichter fallen, die Wirkung Ihrer Worte einzuschätzen.

Bemerkenswert ist, dass es für die Grice'schen Maximen allesamt klassisch-rhetorische Entsprechungskategorien gibt, die teilweise bis in die antike Rhetoriktheorie bei Aristoteles, Cicero und Quintilian zurückverfolgt werden können. Ob sich Grice mit klassischer Rhetorik beschäftigt hat, weiß ich nicht. Dass diese Entsprechungen existieren, zeigt jedoch, dass die klassisch-rhetorischen Forderungen nach Angemessenheit, Klarheit, Kürze etc., die oftmals auf praktischen Beobachtungen der antiken Autoren basieren, nicht nur von stilistischem Interesse sind.

Die Konversationsmaximen liefern den Grund dafür, warum Verstöße wie zum Beispiel "Langatmigkeit" nicht nur "stilistisch unschön" sind und dafür sorgen können, dass das Publikum abschaltet oder einschläft, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene zu äußerst unerwünschten Schlussfolgerungen beim Adressaten führen können. Letztendlich schmälern solche Verstöße Ihre kommunikativen Erfolgschancen enorm.

Zugespitzt gesagt: Stil ist eben nicht nur Stil. Stil ist zugleich immer auch Inhalt.

(Es gibt eine Reihe von Textsorten/Gattungen, bei denen die Grice'schen Maximen nicht oder nur eingeschränkt gelten. Denken Sie z.B. an den Roman: Natürlich muss sich der Autor hier nicht an die Maxime der Qualität halten. Denken Sie an ein Gedicht: Natürlich muss sich der Dichter nicht darum bemühen, die Maxime der Quantität einzuhalten oder "nicht mehrdeutig" zu sein etc.)

Soviel zur Pflicht. Aber es gibt auch die Kür-Seite der Konversationsmaximen. Denn mit dem Wissen um die Möglichkeit gezielter Regelverstöße und dem Wissen um konversationelle Implikaturen können eine Menge an stilistischen-und-nicht-nur-stilistischen Effekten erzielt werden! Viele rhetorische Stilfiguren beruhen auch (aber häufig nicht nur) auf der gezielten Ausschaltung einer oder mehrerer der Grice'schen Maximen und erzielen gerade so ihre Wirkung.

Hier sind ein paar Beispiele:

Maxime der Qualität wird gebrochen:

  • "Ich liebe diese Blödmänner! Was würde ich nur ohne sie tun?" - Ironie.
  • "Er ist der klügste Mensch auf der ganzen Welt." - Übertreibung/Hyperbel.
  • "Dieser Mann ist ein Bollwerk." - Metapher.

Maxime der Quantität wird gebrochen:

  • "Meinst du wirklich er macht das? Meinst du wirklich und ernsthaft er macht das?" - Beispiel für eine Wiederholungsfigur, mit kleiner steigernder Variation in der Wiederholung. Wirkt besonders nachdrücklich, drückt starke Zweifel des Sprechers aus und ist darüber hinaus dazu geeignet, Zweifel auch beim Hörer zu wecken.

Maxime der Relevanz wird gebrochen:

  • "Ich möchte nicht erwähnen, dass diese Idee nicht von mir kam." - Übergehung/Praeteritio.
  • "Hat XY eigentlich eine neue Freundin?" - "Dazu sage ich nichts. In letzter Zeit geht er alle 14 Tage zum Friseur und neulich habe ich ihn in der Abteilung für Herrendüfte getroffen."

Maxime der Modalität wird gebrochen:

  • "Stil ist eben nicht nur Stil" - Widerspruch in sich/Paradox.
  • "Sei bloß vorsichtig!" - "Na, du kennst mich doch." - "Eben." - ebenso diverse andere Formen des Wortspiels, die auf Mehrdeutigkeit beruhen.
  • "Ihr wollt tatsächlich-? Das kann doch wohl nicht euer Ernst sein!" - Auslassung/Ellipse; der Sprecher scheint das nicht Ausgesprochene für eine Verrücktheit, Ungeheuerlichkeit oder einen Witz zu halten.
  • "Ihr Mann ist tot und lässt Sie grüßen" (Goethe, Faust I) - Vertauschung der zeitlichen Reihenfolge/Hysteron proteron.




Äußerungen, deren Bedeutung zum Teil durch Schlussfolgerungen zustande kommt, die der Adressat selbst leisten muss, haben für viele Menschen einen besonderen Reiz; solche Äußerungen gelten oftmals als besonders geistreich oder gewitzt. In der Praxis liegt die Schwierigkeit darin, solche Effekte weder zu platt und zu offensichtlich einzusetzen, noch Aussagen zu konstruieren, bei denen der Gesprächspartner zuerst einen Logiktrainer konsultieren muss, bevor er sie versteht. In diesem Fall gilt: Probieren geht über studieren. Der Experimentierfreudigkeit sind keine Grenzen gesetzt.





Bildnachweise

"Gespräch": S. Hofschlaeger; Pixelio.
"Idee": S. Hofschlaeger; Pixelio.

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