Dienstag, 18. März 2008

Zu viel ist zu viel ist zu viel

"Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, ich freue mich sehr, Sie heute alle zu diesem Meeting begrüßen zu dürfen. Wir sitzen heute hier gemeinsam um diesen Tisch, um eine Reihe von Angelegenheiten zu besprechen, teilweise überaus wichtige und dringliche, und ich hoffe, wir werden in den allermeisten Punkten zu Ergebnissen und Lösungen gelangen, die alle Seiten zufrieden stellen. Ich bin sehr froh, dass Sie alle erschienen sind, damit wir diese Dinge gemeinsam diskutieren können. Und obwohl das Wetter draußen eher zu einem Spaziergang als zu einer Konferenz einlädt, möchte ich besonders..."





Na? Gähnen Sie schon? Oder denken Sie sich: So ein Schwätzer, der hat doch bestimmt inhaltlich nichts zu sagen?


"Weniger ist oft mehr", liest man dann in zahlreichen Ratgebern. Aber woran liegt das eigentlich, dass Leute, die dazu neigen, ausschweifend zu erzählen oder zu antworten, sehr schnell in den Verdacht geraten, eigentlich nichts zu sagen zu haben?


Herbert Paul Grice (1913-1988), englischer Sprachphilosoph, hat dazu folgende Theorie entwickelt, die ihm zu einiger Berühmtheit verholfen hat:


In Alltagsgesprächen, sagt Grice, geht jeder Gesprächsteilnehmer zunächst automatisch davon aus, dass seine Gesprächspartner im Normalfall bestimmte Kommunikationsregeln befolgen.



Ganz oben steht dabei das Kooperationsprinzip. Es besagt, dass jeder Teilnehmer seinen Gesprächsbeitrag so gestalten soll, wie das aktuelle Stadium des Gesprächs, der gemeinsame Zweck oder die Richtung des Gesprächs es verlangen.


Unter dieser allgemeinen Regel stehen vier weitere Regeln, die Grice "Konversationsmaximen" nennt:


1. Die Maxime der Quantität.

Hierunter fallen die Vorschriften:
- Mache deinen Beitrag so informativ wie (für den aktuellen Zweck des Gesprächs) nötig.
- Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.


2. Die Maxime der Qualität

Hierunter fallen die Vorschriften:
- Sage nichts, was du für falsch hälst.
- Sage nichts, wofür du keine angemessenen Anhaltspunkte hast.


3. Die Maxime der Relevanz

Diese besagt einfach: Sei relevant.


4. Die Maxime der Modalität (Art und Weise)

Hierunter fallen die Vorschriften:
- Vermeide eine unklare Ausdrucksweise.
- Vermeide Mehrdeutigkeiten.
- Fasse dich kurz (= vermeide unnötige Weitschweifigkeit).
- Gestalte deinen Beitrag geordnet.


Alle Gesprächsteilnehmer gehen also wie gesagt normalerweise zunächst davon aus, dass die aufgezählten Regeln eingehalten werden. Wenn Sie auf der Straße von einem Unbekannten angesprochen und gefragt werden: "Ich suche den Bahnhof, können Sie mir den Weg beschreiben?" gehen Sie im Normalfall zunächst nicht davon aus, dass der Mann lügt oder dass er eigentlich etwas ganz anderes sucht oder dass er einfach irgendetwas sagt, ohne es zu meinen. Sie gehen davon aus, dass der Unbekannte sich an die Regeln hält. Und wenn Sie ihm daraufhin antworten: "Gehen Sie einfach noch ein Stück geradeaus und biegen Sie an der nächsten Kreuzung links ab", wird der Mann im Normalfall davon ausgehen, dass Sie ihm in ihrer Antwort nach bestem Wissen und Gewissen den Weg zum Bahnhof beschreiben und nicht den Weg zum Sanatorium oder dass Sie einen Teil der Wegbeschreibung einfach weglassen oder die Anordnung der Anweisungen verändern.

Wenn sich ein Gesprächteilnehmer grundlos und ohne dass sein Gesprächspartner dies bemerkt nicht an die Regeln hält, also etwa in unserem Beispiel einfach stillschweigend den Weg zum Sanatorium beschreibt, führt er damit seinen Gesprächspartner in die Irre; es kommt zu Missverständnissen, Unaufrichtigkeiten, ...


Nun gibt es aber noch eine Reihe anderer Fälle, in denen Regeln nicht eingehalten werden, beispielsweise kann es sein, dass zwei Regeln in Konflikt geraten, und der Sprecher entscheiden muss, welche Regel nun wichtiger ist. Dies geschieht bei den meisten Menschen meist ganz intuitiv.


Interessant wird es, wenn ein Sprecher eine Regel absichtlich verletzt, und zwar so, dass der Gesprächspartner dies auch merkt. Dann nämlich fordert er den Gesprächspartner geradezu auf, eine Reihe von Schlussfolgerungen darüber anzustellen, warum diese Regelverletzung stattgefunden hat. Eine Menge an Höflichkeitsmechanismen funktioniert auf diese Weise. Wenn Sie beispielsweise gefragt werden, ob Sie noch auf ein Bier mitkommen, und daraufhin antworten "Aach, ich bin heute so müde", dann ist das eigentlich eine völlig irrelevante Antwort, da Sie nicht gefragt wurden, ob Sie müde sind, sondern ob Sie auf ein Bier mitkommen. Ihr Gesprächspartner wird aus dieser offensichtlichen Regelverletzung jedoch blitzschnell folgern, dass Ihre Antwort als höfliches "Nein" zu verstehen ist. (Grice nennt diese Schlussfolgerungen "konversationelle Implikaturen" einer Äußerung.)




Relativ häufig tritt auch der Fall auf, dass Gesprächspartner A eine Information erfragt, die Gesprächspartner B jedoch nicht in der gewünschte Konkretheit geben kann. Besteht nun bei Gesprächspartner B die Gefahr, dass er sein Gesicht verliert, wenn er wahrheitsgemäß "ich weiß nicht" antwortet (oder zusätzlich seinen Job, wenn er beipielsweise beim Helpdesk arbeitet), wird er versuchen, möglichst unkonkrete, phrasenhafte Sätze zu äußern, um zwar formal "geantwortet" zu haben, zugleich aber bei Gesprächspartner A die Schlussfolgerung zuzulassen, dass er die Antwort eigentlich nicht kennt.


Menschen, die gelernt haben, diese Mechanismen zu erkennen und quasi automtisch die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen, werden auch im allerersten Beispiel der "Konferenzeröffnungsrede" automatisch ähnlich schlussfolgern: Der Redner hält sich nicht an das Kriterium der Relevanz, er wiederholt sich ständig und wird weitschweifig => Er versucht aus einem äußeren Zwang heraus, die Eröffnungsrede irgendwie "rumzukriegen", signalisiert aber, dass es inhaltlich nichts zu sagen gibt.


Besonders hart trifft diese Schlussfolgerung Menschen, die "von Natur aus" zu Weitschweifigkeit und Wiederholungen neigen, damit jedoch keinesfalls nur mit möglichst wenig Gesichtsverlust "die Zeit rumkriegen" wollen, sondern sehr wohl "etwas zu sagen haben". Für sie gilt weiterhin der alte Spruch: Weniger ist oft mehr.



Literatur

H.P. Grice: Studies in the Way of Words. Harvard University Press. 1991.


Bildnachweise

"Konferenztisch": S. Hofschlaeger; Pixelio.
"Talking head": Wikimedia Commons, published under the GNU Free Documentation Licence.
"Sprechblase": Wikimedia Commons, abgeändert, PD-self Public Domain.

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