Sonntag, 20. Januar 2008

Wie man über ungelesene Bücher spricht

Über ungelegte Eier spricht man nicht, sagt der Volksmund. Über ungelesene Bücher... nun ja.

Was würden Sie beispielsweise Ihrer Angebeteten antworten, wenn diese bei Ihrer ersten Verabredung plötzlich beginnt, von der unglaublich intensiven und sinnlichen Bildsprache des italienischen Renaissancedichters Alessandro Garberini zu schwärmen?

[1] "Alessandro Wer? Nichts für ungut, aber ich sehe da lieber fern. Die vielen kleinen, schwarzen Buchstaben auf so einer Buchseite machen mich immer ganz kribbelig. Schlimmer als eine Kolonne Ameisen im Hosenbein."
[2] "Garberini, hm. Persönlich bevorzuge ich ja Petrarca, aber das ist sicherlich Geschmackssache..."
[3] "Klar, Garberini. Was die sprachliche Elaboriertheit der Verse und die Dichte der Bilder angeht, ist Garberini einfach ein unübertroffener Meister. Vielleicht auch ein unübertreffbarer Meister, wer weiß."
[4] "Uff. Äh. Waren wir tatsächlich verabredet?"

Als wunderbar geistreiche Lektüre für alle Zeitgenossen, die sich mit diesem oder ähnlichen Problemen bereits herumschlagen mussten, oder möglicherweise für den Ernstfall gut vorbereitet sein wollen, bietet sich Pierre Bayards neuestes Buch an - in deutscher Übersetzung von Lis Künzli: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat.

Was ist eigentlich ein Buch, das man nicht gelesen hat, fragt Bayard. Ist ein quergelesenes Buch nicht gelesen? Oder ein zur Hälfte gelesenes Buch? Ist ein Buch, dass man von vorm bis hinten gelesen, aber ganz oder zum Teil bereits wieder vergessen hat, gelesen oder nicht gelesen? Sind die Grenzen zwischen "gelesen" und "nicht gelesen" vielleicht fließender als man denkt? Und ist es daher vielleicht gar nicht so schlimm, ein Buch "nicht gelesen" zu haben? Kann es womöglich sogar von Vorteil sein?

Wie äußert man sich über ein ungelesenes Buch, wenn man plötzlich den Buchautor vor sich hat? Oder eben vor der oder dem Liebsten eine gute Figur machen muss? Was passiert, wenn sich zwei Personen über ein Buch unterhalten, das sie beide nicht gelesen haben?

Schämen Sie sich nicht! empfiehlt Bayard. Setzen Sie sich durch und erfinden Sie notfalls die nötigen Bücher.

Der italienische Renaissancedichter Alessandro Garberini ist übrigens auch frei von mir erfunden. Pierre Bayard dagegen nicht. Und ich habe das hier besprochene Buch auch tatsächlich gelesen. Doch! Indianerehrenwort... ;-) Und hier kommt meine Bewertung:

Bayards neuestes Werk ist ein äußerst humorvolles, tiefsinniges und intelligentes Buch. Absolut empfehlenswert. Es besteht die Gefahr, dass Sie es aufklappen und dann nicht mehr aus der Hand legen werden, bis sie am hinteren Buchdeckel angelangt sind. Zumindest dieses Buch hat richtig gute Chancen, von einer Menge Leute tatsächlich "gelesen" zu werden.

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